· 

Macht/Ohnmacht der Geschlechter

oder

 

Wie wollen wir es gemeinsam MACHEN?

 

Einleitung

 

Alles fing letztes Jahr zu meinem Geburtstag an. Mein Bruder lebte ein paar Tage zu Besuch bei mir und meinem Freund mit im Haushalt. Es war schön und irgendwie auch etwas angespannt, meinerseits. Mein Bruder ist älter als ich, wir mochten uns immer gerne, sind aber sehr unterschiedlich von unseren Lebensformen. Er ist so ein typischer Mann/Mann würde ich sagen, aber dabei auch sehr sensibel. Diese Sensibilität schützt er, meiner Meinung nach, mit derben Sprüchen, nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung. Ich muss dazu sagen, wir kommen aus einer klassischen westdeutschen Familie, wo der Vater das Sagen hatte und die Mutter den Haushalt machte. Nun war mein Bruder hier in Berlin in unserer Wohnung, das Wetter war schön und wir verbrachten eine schöne gemeinsame Zeit. Normalerweise sind die beiden Leben, das Leben mit meinem Freund und das mit meiner, ich nenne es mal so, Herkunftsfamilie stark voneinander getrennt. Wir tranken mal einen Kaffee zusammen oder sind Essen gegangen, aber die ganzen Zusammenkünfte dauerten nicht länger als ein paar Stunden. Jetzt aber war es anders, es waren 3 oder 4 Tage, an denen wir gemeinsam lebten. Ich habe dieses teilweise Unwohl sein in mir damit verbunden, dass es eine neue Situation für mich war. Bis mir mein Freund irgendwann auf der Treppe sagte, wenn ich das, was dein Bruder gerade zu dir gesagt hat, wenn ich das zu dir gesagt hätte, hätte ich aber totalen Gegenwind von dir bekommen. Ich war wie geplättet, es setzte so etwas wie ein Filmstopp innerlich bei mir ein. Als wäre ich zwischen zwei Leben gefallen. Er hatte recht!

 

Ab da machte ich mich innerlich auf die Spur, wie kann das sein, das ich für meine Begriffe emanzipierte Feministin (weiß nicht ob es den Begriff so gibt, aber so fühle ich), mich so unterschiedlich gegenüber zwei Männern verhielt?

 

Ich fing an, mich zu beobachten. Meinem Bruder gegenüber verhielt ich mich eher angepasst, es schwang immer so eine Angst mit, ihn zu verärgern oder mit ihm anzuecken. Okay dachte ich, er war älter als ich und ich konnte es mir so erklären, dass in mir eine alte Kinderangst aktiviert wurde. Er war damals größer und stärker und nicht immer zimperlich mit seinen Kräften mir gegenüber. Es gab aber auch die innige Seite zwischen uns, dass er mich oft in emotionalen, schwierigen Situationen mit meinen Eltern unterstützte und mir Halt gab. Wir sind uns im Großen und Ganzen wohlgesonnen, würde ich sagen.

 

Mit meinem Freund verhält es sich anders, da bin ich sehr kritisch, falls mal ein Männerspruch oder irgendetwas, meiner Ansicht nach Frauenfeindliches kommt. Ich würde bald sagen oberkritisch, aber ich konnte auch nicht anders. Es war meine Welt, den Frauenthemen in unsere Beziehung Gehör zu verschaffen, um ihn dafür zu sensibilisieren. Also, meinem Freund gegenüber war ich bei kritischen Punkten eher aggressiv, immer kampfbereit und streitlustig. Was ich auch an mir schätze, kein Angst vor der Auseinandersetzung.

 

Wie konnte das sein? So unterschiedliches Verhalten in mir. Und es wäre mir ja gar nicht wirklich aufgefallen, wenn nicht diese zwei Leben aufeinandergetroffen wären.

 

Ich beobachte mich weiter, wir hatten noch 2 Tage. Das mit der Kindheitsprägung fühlte sich in mir stimmig an, aber da war noch was, es ging noch tiefer. Am letzten Tag, es gab Fußball, was mich null interessierte, ihn aber sehr, erwischte ich mich dabei, wie ich ihm Schnittchen machte. Da fiel bei mir der Groschen! Ich muss dazu sagen, ich hatte schon Jahre keine Schnittchen mehr für irgendjemanden gemacht. Das letzte Mal, wo ich mich dran erinnern konnte, war die Zeit, als meine Kinder noch klein waren. Es hat so was Heimeliges für mich, Schnittchen zu machen. Woher kannte ich das Gefühl? Es war ein Klassiker in meiner Familie, Vater saß vor dem Fernseher und bekam Schnittchen von meiner Mutter gemacht. Ich kopierte das Verhalten meiner Mutter zu meinem Vater, eins zu eins, jetzt mit meinem Bruder. Wir waren so geprägt. Alle Anspannung fiel von mir ab. Ich war beeindruckt, wie stark und tief meine Prägung in mir unbeschadet über die Jahre unbewusst weiterlebte.

 

Meine Forschungsreise ging weiter. Ich fing an zu beobachten, wie sich Männer und Frauen und Geschwister untereinander verhielten. Meine Schwester mit ihrem Mann, die Schwestern von meinem Freund mit ihm. Wie sich mein Freund mit seinen Schwestern verhielt. Zu mir war er recht offen, was sein Gefühlsleben anging. Aber gegenüber seinen Geschwistern war er verschlossen und abweisend.

 

Ich sprach mit meinen Klient*innen darüber, wie stark wir von unseren Eltern geprägt zu sein scheinen. Und ich fand immer mehr Bestätigung darin, dass unser Bewusstsein und unser Verhalten noch längst nicht so weit sind, wie wir es gerne hätten. Es ging mir jetzt nicht mehr um männlich oder weiblich, sondern ich hatte das Gefühl unser gemeinsames Thema ist die Unfreiheit in den Geschlechterrollen.

 

Die Focus-Group

 

Einmal im Monat biete ich in meiner Praxis einen Abend an, wo wir uns gesellschaftlichen Themen, die uns aktuell beschäftigen, widmen. Um uns diese mit einer Aufstellung oder einem Walk näher anzuschauen. Begonnen hatten wir in der Coronazeit, um die tieferen Lernerfahrungen zu begreifen. Die Eindrücke, die ich dort gewinnen konnte, haben mir sehr geholfen diese Zeit, mit all ihren Herausforderungen zu überstehen.

 

Für alle, die die Methode des WALKS noch nicht kennen, hier eine kurze Erklärung. WALKEN ist dem AUFSTELLEN sehr ähnlich. Du übernimmst eine Rolle als Stellvertreter und fühlst dich ein. Dann teilst du alle Impulse und Gedanken, die dir in der Rolle kommen mit. Bei dem Prozess kann sich die Rolle frei im Raum bewegen. Das Thema war diesmal:

 

„Wie gehen Mann und Frau mit Macht um?“

  • Methode: Beziehungs-WALK
  • 2 Rollen: Mann und Frau 

Ablauf des WALKS

 

1.Phase

Auffällig war, dass die Rollen nicht genau sagen konnten, ob sie Frau oder Mann waren. (was eigentlich bei einem WALK relativ schnell klar ist, meist schon bevor der WALK losgeht) Beide Rollen waren relativ gefühlsarm, sie liefen wie getrieben durch den Raum, kein genaues Ziel, Hauptsache in Bewegung sein. Es fiel auch das Wort funktionieren müssen.

 

Der Raum und die ganze Atmosphäre waren eiskalt, die Rollen nervös und hektisch. Beide Rollen beobachteten sich sehr genau. Veränderte eine ihre Richtung, hatte es gleich Auswirkungen auf die andere Rolle.

 

Dann wurde es langsam klar, wer welche Rolle hatte. Die weibliche Rolle hielt an, um Orientierung zu bekommen und es wurde ruhiger. Die männliche Rolle machte es ihr nach, mit der Frage „Was soll ich tun?“ Was wiederum die weibliche Rolle verärgerte, da sie das Gefühl hatte, für alles verantwortlich zu sein. 

 

2.Phase

Die weibliche Rolle nahm die Bewegung wieder auf und mit der Zeit wurde es immer schwerer für sie. Sie fühlte sich sehr alt und müde an, ihre Glieder waren schwer und die Stimmung war hoffnungslos. Sie musste sich setzten. Die männliche Rolle dagegen fühlte sich wie ein kleines Kind an und schaute fragend zu der Alten. Es war wieder eine Situation, die nicht weiterkam. Die Rollen hielten die Situation einfach aus, ohne von außen einzuwirken.

 

Dann kam in der weiblichen Rolle ein Impuls von „Das Leben will Leben“ und sie wurde wieder jünger. Das hatte wiederum Einfluss auf die männliche Rolle und er wurde wieder erwachsener. Beide Rollen waren jetzt ruhiger und gleichwertiger, sie hatten den ersten wirklichen Augenkontakt.

 

 

3.Phase

Nun saßen sie sich gegenüber und kamen ins Gespräch. Dabei zeigte sich, dass die Frau Angst hatte vor der körperlichen und auch gesellschaftlichen Macht des Mannes. Der Mann begriff es nicht wirklich, er meinte die ganze Zeit, dass es nicht nur die körperliche Macht gäbe, sondern dass die Frau auch machtvoll wäre. Das konnte die Frau nicht verstehen. Auffällig war noch, dass der Mann immer guten Zugang zu seinen Gefühlen hatte, was bei der Frau nicht so unbedingt der Fall war. Sie hatte mehr das ganze Feld im Blick.

 

Als die Frau bei ihrer Angst vor der männlichen Übermacht blieb, begann dem Mann etwas zu dämmern. Er fing an über Schuld und Scham zu sprechen. Ihm wurde der Teil bewusst, mit dem er Machtmissbrauch begonnen hatte. Er fühlte sich sehr unwohl. Das bekam die Frau mit und sie konnte ihre Angst vor der Übermacht loslassen. Sie konnte erkennen, wo sie auch Machtmissbrauch vorgenommen hatte, an schwächeren Männern und Kindern.

 

Es war wieder Stillstand. Die Frau hing in ihren Geschichten fest, der jetzt sensible Mann rutschte immer weiter in eine Hoffnungslosigkeit, er sprach von Verzweiflung. Er wusste so gar keinen Ausweg mehr, das Wort Psychiatrie fiel.

Das wiederum holte die Frau aus ihren Gedanken und Bildern und sprach ihn mitfühlend an „Was er bräuchte?“. Das erfreute den Mann so, dass er spontan sagte, „Die Liebe“.

 

4.Phase

Ab dem Zeitpunkt drehte sich die Energie, die beiden saßen sich nun gegenüber und schauten sich an. Beide äußerten sich, wie es ihm ginge, jeder konnte seine Sicht mitteilen ohne Bewertung oder Abwertung durch den anderen. Dabei hatte jede Äußerung eine Auswirkungen auf die andere Rolle und bewirkte etwas in dem anderen. Nun schauten beide auf die Liebe. Die Liebe hatte etwas von Selbstliebe und auch Liebe für den anderen.

 

Der Raum bekam eine warme Atmosphäre, der Mann fragte die Frau „Was sie sich wünsche? Es würde ihn erfüllen, etwas für sie zu tun.“ Die Frau konnte es in dieser Energie gut annehmen ohne das Gefühl zu haben ihm etwas schuldig zu sein.

 

Der Mann hatte den Impuls, etwas machen zu wollen und die Frau wusste was. Jede Rolle hatte ihre Qualität und Stärke und beide wussten darum. Es gab kein besser oder schlechter und keine Konkurrenz. Es war ein liebevolles Geben und Nehmen für die gemeinsame Freude.

 

Mein Fazit

 

Ich hatte das Gefühl, wir sind an dem Abend durch die Geschichte der Geschlechter gegangen. Zuerst das gefühllose Gefühl, keiner hatte Zugang zu sich selber, Hauptsache funktionieren. Dann die Überforderung der Frau, das Leben war so anstrengend alleine ohne die Unterstützung vom Mann. Die Ängste vor Machtmissbrauch, sowohl vom Mann wie auch von der Frau. Den Schwächeren ausnutzen, um seine eigene Position zu stärken. Als wir durch alles durch waren und es gesehen worden war, durfte etwas Neues entstehen.

 

Die Heilung der Macht geht nur zusammen. Es kann sich nicht ein Teil ohne den anderen Teil befreien. Beide dürfen so sein, wie sie im Moment sind, es gibt kein richtig und falsch. Jeder hat das Recht und die Pflicht sich einzubringen, im Respekt vor dem eigenen und dem Schicksal des anderen.

 

Die Einleitung am Anfang kann man als individuelle Ausprägung der Macht und Ohnmacht der Geschlechter verstehen. Ich lade dich hier ein zu überprüfen, welche unbewussten Prägungen bezüglich der Geschlechterrollen, noch bei dir wirken. Die Focus-Group Erfahrung hingegen spiegelt die kollektive Macht und Ohnmacht der Geschlechter in unserer Geschichte wieder. In der wir heute mehr oder weniger noch verwoben sind. Je mehr Bewusstsein wir ins individuelle Feld bringen, desto leichter und klarer wird auch das kollektive Feld.

 

Die Rollen von Mann und Frau im WALK sollten nur die Dynamik zwischen den weiblichen und männlichen Energien veranschaulichen. Mit dem Wissen, das wir alle sowohl männliche wie auch weibliche Anteile in uns haben.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Theda Lindloff (Mittwoch, 30 August 2023 09:31)

    Das ist voll spannend! Da kann ich viel wiederfinden von so einem unerlösten Patt-Gefühl aus eigenen Beziehungen oder solchen aus meinem Umfeld.
    Danke für diesen Beitrag! Theda